GRUPPENAUSSTELLUNG
"ANSITZEN UND WEIT BLICKEN"

TEXT ZU MATHIAS HESSELING

 

 

Über der schlanken Säule seines Stängels aufragend, demonstriert der verblühte Kelch einer Trompetenblume, wie straff er konstruiert ist; zugleich werden seine Zartheit und Verletzlichkeit spürbar. Die Blätter des Blasenstrauchs schimmern metallisch und hart, wirken wie in Bronze gegossen. Im Gegensatz dazu stehen die luftige, lockere Anmutung eines Nests aus Pappelsamen oder des offenen Gewebes, das aus den ineinander verhakten Segeln des Löwenzahns sich bildet. Und wenn auf dem einen Bild eine einzelne, in blassem Weiß und Gelb aufleuchtende Blüte sich aus dem Zentrum gleichsam zögernd in den Raum vortastet, so umkreisen auf einem anderen die feinen Wurzeln des Schnittlauchs wie in wirbelnder Bewegung eine leere Mitte.

Entscheidend für die stupende Wirkung aller dieser Fotografien ist zum einen das zumeist scharfe Licht, zum anderen der schwarze Hintergrund: Setzt dieser die Motive in ihrer ganzen Einfachheit absolut, so unterstützt jenes ihre plastische Wirkung, treibt Strukturen und Texturen ins Profil.

 

Hesseling ist im Hauptberuf Humanmediziner, seine Wahrnehmung ist wissenschaftlich geschult. Seine Bilder mögen uns in eine Welt unbekannter, vermeintlich exotischer Formen und Farben entführen: Das Exotische selbst aber interessiert ihn nicht. Er findet seine Motive in der heimischen Natur, im eigenen Garten und während Spaziergängen. Seine Arbeiten zeigen das Unscheinbare, das vor aller Augen steht, und bestätigen mithin, was Flaubert an Guy de Maupassant schrieb: „Unentdecktes gibt es überall, weil wir gewohnt sind, uns unserer Augen nur mit Erinnerung daran zu bedienen, was man schon vor uns über das Objekt unserer Betrachtung gedacht hat.“ Was das gleichermaßen analytisch- sachliche wie hingebungsvolle Studium der Pflanzen und ihrer Metamorphosen betrifft, steht Mathias Hesseling in einer Linie mit Zeichnern und Malern wie Albrecht Dürer und Maria Sybilla Merian. 

In der Fotografie bieten sich historische Positionen wie die von Karl Blossfeldt, Imogen Cunningham oder Edward Weston zum Vergleich an. Anders als sie freilich kann Hesseling die Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung nutzen. Sie erlauben es ihm, eine Fotografie derart zu perfektionieren und ihr Motiv so weit zu klären, dass sie eine urbildhafte Idealität gewinnt, die mit den traditionellen Techniken der Dunkelkammer unerreichbar wäre. 

 

Dr. Roland Mönig, Von Der Heydt-Museum, Wuppertal

GRUPPENAUSSTELLUNG 

"ANSITZEN UND WEIT BLICKEN"

TEXT ZU MATHIAS HESSELINGS

 

Towering above the slender column of its stem, the blossomed calyx of a trumpet flower demonstrates how tightly it is constructed, simultaneously conveying its delicacy and vulnerability. The leaves of the bladder senna shimmer metallic and hard, appearing as if cast in bronze. In contrast, there is the airy, loose impression of a nest made of poplar seeds or the open structure formed by the interlocked sails of the dandelion. And when, in one image, a single flower timidly reaches into space in pale white and yellow, while in another, the fine roots of chives swirl around an empty centre.

Crucial to the stunning impact of all these photographs is the combination of sharp light and black background. The black backdrop provides a canvas of absolute simplicity, allowing the motifs to stand out, while the sharp light accentuates their plastic effect, revealing intricate structures and textures in profile.

 

Although Hesseling’s professional background lies in medicine, his scientifically trained perception breathes life into his photographic compositions. While his images transport viewers into a seemingly exotic world of unknown forms and colours, Hesseling’s true interest lies in the inconspicuous elements of local nature found in his garden and during walks. His works unveil the overlooked, challenging us to see what has always been right in front of our eyes, echoing Flaubert’s words to Guy de Maupassant: "There is the undiscovered everywhere because we are accustomed to using our eyes only with the memory of what has already been thought about the object of our contemplation." In his analytical-factual and devoted study of plants and their metamorphoses, Hesseling aligns himself with artistic traditions exemplified by figures like Albrecht Dürer and Maria Sybilla Merian.

In the realm of photography, Hesseling draws comparisons to historical figures such as Karl Blossfeldt, Imogen Cunningham and Edward Weston. However, what sets him apart is his adept use of digital image editing. This technological advantage allows him to refine and clarify his photographs to an extent unattainable through traditional darkroom techniques, achieving a primordial idealism that elevates his work to a unique real within the photographic tradition. 

 

 

 

Dr. Roland Mönig, Von Der Heydt-Museum, Wuppertal